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AutorenbildAntje

Als Frau allein draussen…


Wie ist es denn als Frau allein draussen unterwegs zu sein?“


In den vergangenen Tagen ist mir diese Frage immer wieder gestellt worden. Jedes einzelne Mal bin ich fast etwas iritiert über die Frage. Ja natürlich begegnet sie mir schon lang, und ja ich weiß, dass sie fast immer gestellt wird, wenn ich über meine „Soloreisen“, vor allem aber wenn ich über die „Solowanderungen“ berichte.

Also hab ich mal in mich hineingehorcht, warum sie mich so iritiert. Ich hab die Frauen, die sie mir gestellt haben gefragt, was denn ihre Bedenken sind, woher der Gedanke kommt.



Ein Gespräch mit zwei Frauen dazu verlief folgendermaßen:

F1: „Hast Du denn nicht Angst allein mit der Hängematte unterwegs zu sein?“

Ich: „Nein, hab ich nicht. Im Gegenteil, in der Mehrzahl erlebe ich so zauberhafte Begegnungen, dass ich immer sehr lang davon zehre.“

F2: „Ich werde sooft belästigt von Männern, mir wird hinterhergepfiffen. Inzwischen empfinde ich das als absolute Belastung in meiner Stadt.“

Ich: „Das passiert mir tatsächlich nicht. Ich gehöre nicht dem Standartbild von Frau an, welches viele Männer anspricht an. Mir pfeift niemand nach. Mir passiert es eher auf meinen Wanderungen, dass Frauen mich auf meine Figur ansprechen und dabei maximal übergriffig sind. Das verletzt mich oft. Während einer Wanderung an der Ostsee z.B., hat mich eine Frau mal am Imbiss angesprochen, was denn mit mir nicht ok sei, dass ich solche Wanderungen mache und dennoch SO aussehe. Ich erwiderte daraufhin, dass ich mich ganz ok finde. Diese Schlagfertigkeit wird oft bewundert. Die Wahrheit jedoch ist, dass es ein antrainierter Schutzmechanismus ist, der leider nicht immer funktioniert, weil manche „Übergriffe“ so schlimm für mich sind, dass mir vor lauter Verletzung nicht direkt die passende Antwort einfällt.“

F1: „WAAAS? Das ist ja schlimm, wieso machen Menschen so etwas?“

F2: „Es tut mir so leid, dass Dir das passiert ist.“

F1: „Dabei sollten doch gerade wir Frauen uns gegenseitig unterstützen.“

Ich: „Ja, das stimmt. Ich bin ganz bei Dir. Leider sind es sehr oft Frauen, die in diesem Bezug so übergriffig sind. Tatsächlich begegnen mir unterwegs oft Männer, die sehr anerkennend sind wegen meiner „Leistung“.


Mir hat dieses Gespräch verdeutlicht, dass ich auf der einen Seite sorglos unterwegs bin, weil ich sehr selten befürchten muss, blöd angemacht zu werden. Andererseits erlebe ich Verurteilung wegen meiner Äußerlichkeit, was oft sehr verletzend ist oder beschämend. Frau 2 erfährt diese Verurteilung und Verletzung nicht, weil sie dem Schönheitsideal entspricht. Ich nehmen diesen Typ Frau oft als privilegiert wahr. Was ich in meiner Sichtweise nicht sehe oder erfahre ist, dass dieses Privileg eine andere Pein mit sich bringt. Für mich eine wichtige Erkenntnis um meine Irritation in Bezug auf die Frage nach der Angst allein rauszugehen besser verstehe.

Frau 1 dagegen traut sich (als Frau) nicht viel zu. Sie selbst bezeichnet sich in dem Gespräch als tollpatschig, hat Sorge z.B. eine Hängematte ohne männliche Unterstützung gar nicht aufhängen zu können oder zweifelt sich orientieren zu können. Jeder einzelne ihrer Blicke macht mich betroffen und bin einmal mehr dankbar für meine Sozialisation, die ich erlebt habe.


Die Frauenrolle in der DDR war definitiv eine andere, als die der Frauen in der BRD während der Jahre der Teilung Deutschlands. Ich bin „im Osten“ mit einer arbeitenden Mutter groß geworden, meine Eltern haben sich den Haushalt mehrheitlich geteilt. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass es mein Vater war, der mich in den ersten Monaten zur Schule begleitet hat – mich an der einen Hand, in der anderen seine Aktentasche, weil er danach weiterging zur Arbeit.

Und ja – mir ist bewusst, dass mein Vater sich einen Jungen gewünscht hätte und ich sicher auch deshalb in viele Dinge des Handwerks eingewiesen wurde. ABER es hat mich eben auch interessiert. Mein Vater hat an der Datsche meiner Eltern gewerkelt und ich währenddessen an meiner „Bude“ im Waldstück hinterm Garten. Um zusätzlich Geld zu verdienen hat mein Vater bei anderen Menschen gemalert – oft bin ich mitgegangen. Bis heute brauche ich niemanden um meine Wohnung zu renovieren, ich kann Lampen anbauen, Möbel aufbauen, Löcher in Wände bohren. Und wenn ichs müsste, würde ich auch Fußböden verlegen können. Ich bin mit einem Selbstverständnis erzogen worden, dass man alles lernen kann. Und dafür bin ich meinen Eltern unglaublich dankbar.

Natürlich sind da andere gesellschaftliche Normen und Konventionen, mit denen es in meinem Elternhaus nicht so perfekt lief – darüber hab ich auch schon oft gesprochen in verschiedenen Blogposts – aber meine Rolle als Frau in unserer Gesellschaft, da haben sie echt sehr viel richtig gemacht in meinen Kinder- und Jugendtagen.

Ich trage ein bedingungsloses Selbstverständnis in mir, dass ich den gleichen Wert besitze wie Männer. Mir ist absolut klar, dass das in unserer sehr entwickelten Gesellschaft nicht vollständig gelebt wird. Gerade auf Reisen wird mir jedoch auch immer wieder bewusst, wie weit wir jedoch in Deutschland und vielen anderen Teilen Europas bereits gekommen sind. Darauf bin ich stolz. Ich kanns mir für mich nicht anders vorstellen. Undenkbar für mich die Vorstellung in einem Land zu leben, in dem das „unterentwickelt“ ist. Feministisches Verhalten zu leben und auch immer wieder zu thematisieren ist einer der wichtigsten Werte in meinem Leben. Deshalb spreche ich so oft darüber und gleichzeitig bin ich sehr wach, wenn dieser Wert verletzt wird. Am schlimmsten jedoch finde ich, wenn wir Frauen ihn selbst verletzen. Auch mir selbst nehme ich das sehr übel.

Deshalb war das Gespräch mit den beiden Frauen auch unglaublich wichtig für mich, um mir meiner Privilegien bewusst zu werden und Verständnis zu entwickeln. Mitgefühl auszudrücken. Beide Lebensrealitäten haben mich sehr berührt. Und meine sie.


Wir sollten viel mehr über unsere Lebensrealitäten sprechen um einander verstehen zu können. Ich muss sie ja nicht leben, aber ich kann sie respektieren.

Jede Medaille hat eben immer 2 Seiten.


Ich pack dann mal meinen Rucksack und geh raus. Allein.


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