Der stete Rhythmus des Gehens tut mir gut. Mein Kopf wird ruhig, die Gedanken rennen nicht mehr oder stolpern übereinander…
Wenn ich in den Wandertag starte, gehe ich so schnell wie meine Gedanken rasen. Aber von Kilometer zu Kilometer passen sich meine Schritte an, sie werden langsamer, und mit ihrem Rhythmus sortieren sich meine Gedanken. Sie verändern sich, werden klarer. Wir sind im Dialog. Aber eben auf Augenhöhe. Sie überrennen mich nicht mehr.
Aus einem Wandertag am Wochenende wurden zwei. Und irgendwann reichte mir auch das nicht mehr. Aber mit dem „großen“ Gepäck unterwegs sein? Im Zelt schlafen? Bin ich nicht raus aus dem Alter auf einer schmalen und dünnen Isomatte die Nacht zu verbringen? Gebückt in einem kleinen Zelt hantieren? War ich nicht längst eher bei „Glamping“ angekommen?
Der erste Coronawinter brach an und brachte mit seinen Temperaturen und den notwendigen Maßnahmen sowieso alles zum Erliegen. Nur meine Sehnsucht draußen sein zu können, wurde von Monat zu Monat größer. Ich versorgte mein unruhiges Entdeckerinnenherz mit Abenteuerpodcasts. Am liebsten hörte ich den Weltwach Podcast von und mit Erik Lorenz. Ich war auf einer Hoodrunde unterwegs, in der Folge (Nr. 119) die ich hörte, war Christo Förster zu Gast und die beiden unterhielten sich über Mikroabenteuer und in diesem Zusammenhang darüber, seine Comfortzone zu verlassen und draußen zu schlafen – z.B. in der Hängematte. Erik gab zu, dass er das bisher nicht soo bequem fand und Christo teilte ein paar Tipps. Gefesselt hörte ich zu, als ich vor unserem Haus stand, lief ich weiter und drehte eine weitere Runde, wollte unbedingt noch mehr hören, von diesem Hängemattenlife. Von Sekunde eins an wusste ich, dass es genau meine Variante sein wird draußen zu schlafen. Probemöglichkeiten, die Christo vorschlug – z.B. mal auf dem Balkon oder im heimischen Garten zu schlafen ließ ich aus. Ich wollte wie immer das große Ganze. Ich kaufte im Februar die Hängematte, im März den Schlafsack, im April den Underquilt (erkläre ich später), im Mai meinen ersten großen Rucksack und ging am 31. Mai 2021 los auf meine erste Weitwanderung… von Lübeck/Travemünde nach Wismar. 75km. 5 Tage zu Fuß unterwegs und 4 Nächte in der Hängematte. Lieber nicht so weit weg, falls ich abbrechen muss. Angst vor meiner eigenen Courage…
In meinem Gepäck schleppte ich so einiges mit. Kartoffeln, Möhren und Tofu für die Verpflegung, eine gehörige Portion Mut, eine mindestens genauso große Portion Schiss. Und eine defekte Powerbank.
Was das mit meinem Rucksack (den wirklichen und den in meinem Kopf) machte, den ich dabeihatte? Er war zu schwer. Viel zu schwer…
Aber ich ging los und nur wenige Kilometer hinter Travemünde zeigt sich der Ostseestrand von seiner allerfeinsten Seite. Ein Strandabschnitt von wilder Schönheit. Es ist ein Montag und ich treffe nur wenige Menschen, die meisten sind mit Fahrrädern unterwegs. Einige sprechen mich an. Auch sie finden meinen Rucksack ganz schön mächtig. Ein paar von ihnen werden mir wieder begegnen in den kommenden Tagen. Sie zollen mir Respekt. Jetzt und bei den nächsten Begegnungen noch mehr. Eine Frage bestimmt jedoch immer das Gespräch, wenn ich erzähle, dass ich die Nächte in der Hängematte verbringe: „Aber was ist denn mit dem Wolf? Dem ach so bösen Wolf?“ Ich habe keine Angst vor dem Wolf. Wirklich nicht. Ich glaube nicht an das alles zerreißende Ungeheuer. Ich habe so viel gelesen und gehört über dieses menschenscheue Tier. Es fasziniert mich. Ich möchte nicht so weit gehen zu sagen: „Wenn er mir doch endlich mal begegnen würde.“ Aber ich bin begeistert von diesem „Muster an vorbildlichem Sozialverhalten“ – Wölfe leben im Rudel, ihr Zusammenleben ist geprägt von Partizipation und Teamgeist. Das imponiert mir. Die Mäh vom Leitwolf, die gibt’s schon lang nicht mehr. Aber Rotkäppchen und der Wolf hat uns eben alle sozialisiert und so ist sie ständig präsent, die Frage nach dem bösen Wolf. Ich pariere sie inzwischen perfekt und erzähle den Menschen, die mir begegnen die anderen spannenden Geschichten, die ich erlebe und erfahre, wie meine Geschichten auf die Personen wirken – ich lasse sie staunend zurück, begeistert und inspiriert. Das beflügelt mich.
Am Nachmittag komme ich zum Schlossgut Groß Schwansee. Ganz typisch für diese Ecke Mecklenburgs. Vom Strand führt eine kleine Lindenallee bis zum Schlossgut und hinter großen alten Bäumen eröffnet sich der Blick auf das Gut. Es gibt allerfeinsten Stachelbeer Baiser und den lasse ich mir natürlich nicht entgehen. Dazu einen Cappuccino und die Frage danach Wasser mitnehmen zu können. Denn ich möchte hinterm Schlossgut meinen ersten Nachtplatz suchen. Als wäre mein Rucksack nicht überladen genug, nehme ich in meiner Wasserblase 4l Wasser mit und beginne mit meiner Suche nach dem perfekten Nachtplatz – vom Strand aus. Ihr könnt Euch vorstellen wie es sich läuft mit 20kg Rucksack plus 4l Wasser auf dem Strand. Genau. Mies. Aber ich habe Glück und muss nicht lange suchen. Nach wenigen hundert Metern direkt am Strand, es beginnt gerade der Anstieg zur Steilküste finde ich den allerbesten Platz, der mir an diesem ersten Tag hätte begegnen können. Ich richte mein Setup ein und lege mich in die Hängematte, mit Blick auf die Ostsee. Bis heute bin ich der festen Überzeugung, dass dieser besondere Platz mitverantwortlich ist für meine große Hängemattenliebe.
Auch andere haben scheinbar Zeit an diesem Fleckchen verbracht und einen Lagerfeuerplatz eingerichtet. Ich beginne Feuerholz zu sammeln und scheitere kläglich beim ersten Versuch Totholz aus einem Baum zu ziehen. Es ist leider ein Totbaum, der so mächtig ist, dass er mich umwirft, als ich an ihm zerre. Er renkt mir den Finger aus, instinktiv renke ich ihn sofort wieder ein. Auf Lagerfeuer habe ich keine Lust mehr.
Also „nur“ kochen. Es ist eines meiner Hobbys, das Kochen. So hatte ich natürlich von Beginn an die Vorstellung, dass ich mich auch unterwegs gut - also sehr gut verpflegen möchte. Guuuut - Möhren und Kartoffeln mitzuschleppen ist jetzt meine brillanteste Idee gewesen. Zum einen wiegen sie viel und zum anderen brauchen sie auf dem Kocher natürlich auch viel Zeit um zu garen. Aber mein Kartoffel-Möhren Eintopf, den ich mir zubereite ist köstlich und wird gekrönt von knusprigen Tofuwürfeln - aus der Pfanne versteht sich (und ja, ich habe auch noch eine kleine Unterwegspfanne mitgenommen). In den kommenden Tagen gibt es Möhren-Dinkeleintopf mit Tofu, Würstchengulasch mit Nudeln und Bannock (kanadischer Brotfladen aus der Pfanne) - bis heute einer meiner Favourites. Das Kochthema unterwegs wird uns hier in meinem Blog noch weiter begleiten und ich werde darüber nochmal separat schreiben.
Auch ohne Lagerfeuer leuchtet der Himmel im Sonnenuntergang in den allerschönsten Feuerfarben und als ein Ostseeschwan vorbei schwimmt, ist das Kitschlevel nicht mehr zu toppen.
Irgendwann geht das Sonnenuntergangskino zu Ende und ich beschließe zu schlafen. Die ersten 1,5 Stunden schaue ich alle paar Sekunden aus meiner Hängematte. Ich bin müde, aber meine Gedanken finden noch keine Ruhe bei diesem ersten Einschlafen in der Hängematte. Irgendwann jedoch erliege ich der Müdigkeit und schlafe ein. Für 10 min. Dann schaue ich erneut ob nicht doch irgendwas da „draußen“ ist. Das mache ich so weiter bis das Käuzchen anfängt zu rufen. Ich hatte nicht mehr auf dem Schirm, wie „gruselig“ es klingen kann, wenn es ruft – im Dunkeln. Dennoch schaffe ich den Rhythmus zu verlängern auf alle 20 Minuten „rausgucken“, später sogar auf alle 30 Minuten. Durch meine erste Nacht in der Hängematte begleitet mich ein wildes Gedankenspiel aus „Werde ich jemals richtig schlafen können? Ist es nur so, weil es das erste Mal ist? Habe ich Angst oder ist es nur eine Unruhe. Warum muss ich so oft Pipi? Und wann ist eigentlich die Nacht zu Ende?“
Dennoch krabbel ich morgens um 6 überglücklich mit dem breitesten Grinsen ever aus meinem Schlafsack und der Hängematte und bin stolz auf mich. Unglaublich stolz. Ich habe draußen geschlafen. Allein. Unter Bäumen. Direkt am Meer. Und ich werde es wieder tun. Ich koche mir den besten Kaffee, den ich jemals getrunken habe – meinen allerersten „Draußen-Kaffee“. Bis heute ist es der beste Kaffee, den ich kenne, aber niemals wieder hat er so besonders perfekt geschmeckt wie an diesem Morgen.
Ich packe meinen Rucksack, fast könnte man denken, dass ich niemals dagewesen wäre. Nur ein paar abgeknickte Grashalme deuten darauf hin, dass ich gestern Abend hier gesessen und aufs Meer hinausgeschaut hab. Mit großem Kloß im Hals füllen sich meine Augen mit Tränen der Rührung. Es ist eine Mischung aus Stolz und Dankbarkeit. Mir selbst gegenüber bin ich dankbar, dass ich losgegangen bin, dass ich mir das zugetraut habe. Aber vor allem bin ich dankbar hier sein zu dürfen. Hier draußen in der Natur. Das ist so kostbar. Das gehört uns nicht. Ich war zu Gast. Wir alle sind da draußen nur zu Gast. Umso mehr irritiert mich jedes einzelne Mal, wie Menschen sich verhalten in der Natur, obwohl sie doch eben nur zu Besuch sind.
Ich gehe los, sehr schwungvoll, in den neuen Tag. Ich habe eine Tagesaufgabe. Bereits am Vorabend stellte ich fest, dass meine Powerbank defekt ist. Jaaa, das hätte ich vielleicht vorher mal checken können. Aber so bin ich, manchmal eben eine totale Chaotin. Nun brauche ich Strom.
Manchmal ist mein Wunsch nach absoluter Selbstbestimmung und dem Abenteuerdrang für meine mir wichtigsten Menschen sehr herausfordernd. An meiner Seite ist seit Jahren ein Mann mit einem komplett anderen Verständnis für Sicherheit, meine Tochter übrigens auch. Wir hatten vor dieser ersten Hängemattenwanderung vereinbart, dass ich über mein Handy jederzeit erreichbar bin, bzw. ich mich verständigen kann. Wenn ich aber nun keinen Strom habe, funktioniert mein Handy nicht. Nach ein paar Kilometern komme ich an einem Ferienhaus vorbei. Offensichtlich ist es unbewohnt. Aber es hat eine schöne Terrasse und die wiederum eine Steckdose. Also verbringe ich eine ausgiebige Mittagspause dort. Ich bin der festen Überzeugung, dass man manchmal Dinge gibt und man auch Dinge zurückbekommt. Ganz oft jedoch nicht von den gleichen Personen. Aber irgendwann schließen sich Kreise. Erst überlege ich, ob ich etwas Kleingeld unterm Fußabtreter liegen lasse, entscheide mich jedoch dagegen und ziehe weiter.
Der Tag und die Kilometer ziehen sich an der Küste entlang. Hügelauf, Hügelab. Wälder, Kornfelder, Mohnblumen, Kornblumen, daneben die Ostsee in all ihren grünblauen Wasserfarben – Mecklenburger Blick. Rasend schön. Meine Füße sagen irgendwann, dass es Zeit wird für die Suche nach einem Nachtplatz und so mache ich Stopp an einem Strandkiosk. Die Besitzerin spricht mit mir in allerfeinstem Mecklenburger Charme ;-) und teilt mit mir ihren Strom und ihr Wasser und empfiehlt mir den Strand unterhalb der Steilküste, um dort zu schlafen. Ich erzähle ihr, dass ich lieber oben langlaufe, weil ich ja Bäume suche. Sie nickt „blickend“. Ich glaube, sie findet mich sehr seltsam, aber schickt mich dennoch auf einen kleinen Trampelpfad, der direkt auf den Klützer Winkel führt. Früher war das ein NVA-Gelände. Heute fährt hier nur noch der Bauer mit dem Trecker auf seinem Acker. Die Sonne steht schon relativ tief, als ich zu einer alten Eiche komme. Sie steht dort allein, trotzt seit sehr vielen Jahren den Ostseestürmen. Ihre Äste sind kräftig, sie hängen tief, so dass es fast so ist, als würde man durch ihre Zweige durch eine Tür ihr Inneres betreten. Von außen erkennt man das „Innen“ nicht, so dass sie mich aufnimmt mit meiner Hängematte, die ich in ihre dicken tragenden Arme hänge. Es wird ein wunderschöner Abend mit dem allerbesten Sonnenuntergangskino auf der Steilküste, 20 Meter oberhalb vom Strand.
Mein Glück wird kurz unterbrochen von einem Spazierpärchen. Sie bleiben etwa 50 m vor „meiner“ Eiche stehen. Ihr begleitender Hund bleibt wie trainiert auf dem Weg sitzen. Sie selbst gehen zu einer anderen Eiche. Ich hatte sie zuvor auch schon gesehen, aber sie war mir zu offen. Diesem Pärchen ist sie das scheinbar nicht. Sie haben „schöne“ 5, na vielleicht eher 3 Minuten miteinander. Mich nehmen sie nicht wahr. Ich stehe sehr geschützt unter der Eiche. Ich hoffe, dass sie in die Richtung zurückgehen, aus der sie gekommen sind. Entscheiden sie sich für meine Richtung, wird der Hund mich wahrnehmen. Meine Hoffnung erfüllt sich nicht. Kurze Augenblicke später wittert mich der Hund und kommt unter den Baum und bellt mich an. Ohne Erbarmen. Ich weiche nach hinten aus, aber weit kann ich ja nicht. Hinter mir ist die Steilküste. Er kommt näher und kläfft mich an. Ich spüre Angst in mir aufsteigen. Mir bleibt nichts Anderes übrig als mich zu erkennen zu geben: „Können Sie bitte den Hund zurückpfeifen?“ Statt das zu tun, fragt sie erschrocken: „Hat sie das jetzt alles mitbekommen?“ Ich: „Ja, hat sie. Aber können Sie bitte den Hund zu sich rufen?“ Sie ruft ihn zurück. Er bellt zwar weiter, zieht dabei aber ab. Mein Grinsen über ihre „schöne Zeit“ ist mir vergangen. Aha. Das war also gemeint mit problematischen Tierbegegnungen.
Ich beruhige mich wieder, bin aber dennoch froh, dass es das letzte „Gassigehpärchen“ für diesen Tag ist. Ich lasse mich sanft in den Schlaf schaukeln und ich schlafe tatsächlich schon ein bisschen besser als in der ersten Nacht. Allerdings ist es frisch in dieser Nacht, dazu weht der Wind über die Steilküste. Ich setze meine Mütze auf, binde ein Tuch um den Hals und krieche tief in meinen Schlafsack hinein. Gut, dass ich mich für den Kauf eines Underquilts entschieden habe. Ein Underquilt ist quasi wie ein eigener Schlafsack für die Hängematte, er hängt unter (under) der Hängematte und schafft so eine Temperaturbarriere zwischen dem Rücken und Gesäß, welche ja beide großflächig aufliegen in der Hängematte und von unten den Außentemperaturen ausgesetzt wären. Es gibt sogar einen Namen dafür: Cold Butt Syndrome. Was für eine gute Investition, ohne meinen Underquilt hätte ich in dieser Nacht seeehr gefroren.
Das Gefühl der Dankbarkeit und der Demut beim Losgehen am nächsten Morgen ist noch stärker, als nach der ersten Nacht. Es wird in den kommenden Monaten und Jahren noch größer werden. Mit jeder einzelnen Nacht draußen unter Bäumen wächst mein Respekt gegenüber der Natur. Ich werde aufmerksamer, sensibler und achtsamer mit dem was mich umgibt. Eine der Kernerfahrungen meines „Draußen seins“.
Es ist nicht weit nach Boltenhagen und mein Ansinnen für den Tag ist eine neue Powerbank zu finden. Ich werde fündig - begleitet von zauberhaften Mitarbeiterinnen eines hiesigen Discounters, die mich in ihrem Aufenthaltsraum für eine Weile behausen und Strom ziehen lassen. Ich verlasse nach dieser ersten Tagesaufgabe Boltenhagen und wandere direkt weiter in die Wohlenberger Wiek. Ich kenne die Wiek gut und liebe sie sehr. Ich freu mich auf eine Nacht an ihrem Ufer. Auf meinem Weg dorthin zieht eine Gewitterwolke auf. Neben der Abmachung mit meinem Partner, dass ich erreichbar bin, gibt es eine Zweite: Wenn ein Gewitter droht, dann suche ich mir eine feste Unterkunft. Das habe ich fest versprochen. Zu dieser Zeit stecken wir jedoch noch in einem „Beherbergungsverbot“ und so werde ich für eine Nacht Wismarerin, um auf dem Campingplatz Liebeslaube übernachten zu dürfen. Da nur Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern beherbergt werden dürfen, „verliere“ ich für eine Nacht meine Hamburgische Herkunft. Während ich mein Setup in der Nähe eines Pavillons auf dem Campingplatz einrichte, zieht die Wolke davon und die Wohlenberger Wiek strahlt in ihrem schönsten Ostseeblau bis in den späten Abend hinein. Dennoch mache ich eine interessante Beobachtung. Ich schlafe die erste Nacht hervorragend, sogar so gut, dass ich morgens fast „verschlafe“. Es beruhigt mich innerlich dann doch, dass ich in der Nähe von anderen Menschen schlafe. Obwohl in den vorangegangenen Nächten nichts war, was mich ernsthaft hätte beunruhigen müssen – aber trotzdem.
Ich ziehe weiter Richtung Wismar und mache im Laufe des Tages die Erfahrung wie frustrierend es sein kann nicht die „perfekten“ Bäume zu finden. Langsam beginnt das Haff um Wismar herum, das Wasser ist niedrig, die vorgelagerten Inseln verändern hier die offene See und die Wasserkante ist davon gezeichnet, dass die Vegetation flacher ist und weniger Bäume hat. Ich bin kurz davor in einem kleinen Badeort an der Minipromenade zu schlafen, sammel aber alle Reserven zusammen, gehe weiter, schaffe nochmal 6 km und finde wirklich ganz knapp vor meinem eigentlichen Ziel Wismar 2 Kastanien, direkt am Ufer der Ostsee mit Blick auf den Hafen. Es ist kein richtig guter Ort, wie ich ihn mir gewünscht hätte. 3 Meter neben den Kastanien führt ein Radweg hinein in die Stadt, noch lange an diesem Abend sind Menschen unterwegs zum Gassi gehen. Viele von ihnen fragen mich, ob ich hier übernachten will und bei aller Menschenliebe, fällt es mir schwer die Frage positiv zu beantworten.
Ich liege schon in der Hängematte, als der Wind auffrischt, dann sehe ich die Wolke und mir ist klar, dass offensichtlich der Zeitpunkt gekommen ist, mein Tarp als Regen- und Windschutz aufzubauen. Ich hatte vorher nicht mehr geschafft es auszuprobieren und so baue ich es nun hier unter erschwerten Windbedingungen das erste Mal auf. Blöde Idee übrigens. Die Heringe halten nicht lange, alles fliegt mir um die Ohren und natürlich finde ich im Dunkeln die Heringe nicht wieder. Ich bin froh als Kind so viele Folgen Mac Guyver konsumiert zu haben – mein Besteck muss herhalten. Gabel und Löffel funktionieren hervorragend. Die Seite des Tarps, die ich mit meinem Taschenmesser befestige, hält mich allerdings wach. Meine Phantasie blüht – ich stell mir die halbe Nacht vor, wie ein kräftiger Sturmwindstoß das Messer aus der Erde zerrt und dabei meine Kehle aufschlitzt. Ich frage mich welches Bild das abgibt, wenn mich morgens jemand bei der ersten Gassirunde ausgeblutet in meiner Hängematte findet…
Es wäre ja kein richtiges erstes Hängemattenabenteuer gewesen, wenn es nicht wenigstens einmal geregnet hätte. Dafür dass es meine erste nasse Draußennacht war, finde ich, habe ich das super gemeistert.
Ich packe ein letztes Mal zusammen. Inzwischen hat alles in meinem Rucksack Platz. Nichts hängt mehr draußen dran. Ich schultere ihn und mir laufen die Tränen – mal wieder – vor Rührung und vor Stolz. Ich gehe los. Es sind noch 7 km bis zum Wismarer Stadthafen. Ich gehe sie leichten Fußes.
Bevor ich zum Hafen komme, halte ich an einem Drogeriemarkt. Die Sonne hat in den vergangenen Tagen meine Lippen ausgetrocknet. An der Selbstbedienungskasse neben mir steht eine junge Mutter, mit ihrem Kind auf dem Arm. Sie hat einen kleinen Einkauf, allerdings funktioniert ihre Karte nicht. Ich halte meine Karte ans EC-Gerät und übernehme ihren Einkauf. Grinsend verlasse ich den Markt: Stromgeld bezahlt: Check!
Rechtzeitig zum Frühstück sitze ich in einem Cafe mit Blick auf die Schiffe, die nach Poel verkehren. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass ich genau ein Jahr später zurück sein werde und mit einem der Schiffe rübersetzen werde nach Poel, um meinen Weg fortzusetzen. Weiter entlang auf dem E9 an der Ostseeküste entlang und die Nächte in der Hängematte. Im gepäck werde ich eine wichtige Erkenntnis haben: Es wird immer irgendeinen Wolf geben. Er kann verschiedene Gesichter haben. Er kann sich anhören wie ein Käuzchen, aussehen wie ein Taschenmesser, bellen wie ein Hund, er kann stromlos sein oder sich endlos anfühlen wie die erste Nacht in einer Hängematte…
Fortsetzung folgt!
Comentarios